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Spektrum der Wissenschaft September 2002, Seite 83
zusammengestellt von Friedrich Pukelsheim
und von
Spektrum der Wissenschaft zur Drucklegung redigiert unter dem
Titel
«Die Väter der Mandatszuteilungsverfahren»
Alle Stimmenzahlen werden durch einen gemeinsamen Divisor geteilt und die sich ergebenden Quotienten standardmäßig zu den Sitzzahlen gerundet; der Divisor wird so bestimmt, dass die Sitzzahlen in ihrer Summe die Gesamtmandate ausschöpfen. (Bei der Standardrundung wird ein Bruchteilsrest ab- bzw. aufgerundet je nachdem, ob er kleiner oder größer als 0.5 ist; in den seltenen Sonderfällen, in denen mehrere Reste genau gleich 0.5 sind, entscheidet das Los.) Zur Berechnung des Zuteilungsergebnisses gibt es verschiedene Verfahren.
Daniel Webster (1782-1852) war einer der führenden amerikanischen Staatsmäner seiner Zeit. Als Vorsitzender der Senatskommission, die 1832 die Zuteilung der Sitze des US-Repräsentantenhauses an die Bundesstaaten untersuchte, favorisiert er die Divisormethode mit Standardrundung, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Webster nannte sein Verrechnungsverfahren method of major fractions (Methode der hälftigen Bruchteile); die angelsächsische Literatur spricht von der Webster-Methode.
Bildnachweis:
www.dartmouth.edu/~dwebster/gallery.html
André Sainte-Laguë [sɛ̃t la'gy] (1882-1950) war Mathematikprofessor am Conservatoire national des arts et métiers in Paris. In seinen Wahlrechtsaufsätzen (1910) betonte er, dass den Wählern die Vorrangstellung zukommt: «Damit die Wahlgleichheit so vollständig wie möglich ausfalle, muss jeder einzelne der Wähler den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben.» Sainte-Laguë war der erste, der die Divisormethode mit Standardrundung aus der Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen heraus rechtfertigte.
Bildnachweis: Friedrich Pukelsheim
Ladislaus von Bortkiewicz (1868-1931) war Direktor des Staatswissenschaftlich-Statistischen Seminars der Universität Berlin. In der Diskussion um das Wahlgesetz zum ersten Deutschen Reichstag zeigt er 1919, dass die Divisormethode mit Standardrundung erfolgswertoptimal ist in dem Sinn, dass der paarweise Unterschied je zweier Erfolgswerte sich «stets niedriger stelle, als er ausfallen würde, wenn man der einen der beiden Parteien (auch nur) einen Sitz entzöge, um ihn der anderen zuzuwenden.»
Bildnachweis:
Humboldt-Universität Berlin
Hans Schepers (*1928) wies als Leiter der Gruppe Datenverarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags 1980 die Parlamentarier auf die Vorzüge einer neuen Berechnungsmethode für die Vergabe von Ausschusssitzen hin. Im Nachhinein ergab sich, dass er die Divisormethode mit Standardrundung wieder entdeckt hatte. Im Datenhandbuch des Deutschen Bundestags wird die Methode deshalb unter dem Namen Proportionalverfahren (nach Sainte-Laguë / Schepers) geführt.
Bildnachweis: Friedrich Pukelsheim
Alle Stimmenzahlen werden durch einen gemeinsamen Divisor geteilt und die resultierenden Quotienten abgerundet, um die Sitzzahlen zu erhalten; der Divisor wird so bestimmt, dass die Sitzzahlen in ihrer Summe die Gesamtmandate ausschöpfen. Zur Berechnung gibt es wie bei der Divisormethode mit Standardrundung drei Möglichkeiten, wobei die Höchstzahlberechnung mit der Teiler-Folge 1, 2, 3, usw. durchgeführt wird.
Thomas Jefferson (1743-1826) schlug die Divisormethode mit Abrundung vor, als 1791 erstmals die Sitze des US-Repräsentantenhauses den damals 15 Bundesstaaten zuzuteilen waren. Er rechtfertigte die Methode mit Hinweis auf die Verfassung: «Bruchteilsreste müssen unberücksichtigt bleiben, weil die Verfassung klar besagt, dass es eine Zuteilung mit gemeinsamer Bezugszahl geben soll, während sie, sollten bei der Rechnung Bruchteilsreste auftreten, über deren Behandlung schweigt.»
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www.monticello.org/reports/people/descriptions.html
Victor D'Hondt (1841-1901), Professor für Zivil- und Steuerrecht an der Universität Gent, setzte sich vehement für ein Verhältniswahlrecht ein, um auch Minderheiten eine Repräsentation zu sichern. Seine Schrift «Système pratique et raisonné de représentation proportionnelle» wurde 1882 veröffentlicht. Darin warb er für die Divisormethode mit Abrundung als Höchstzahlverfahren mit Teiler-Folge 1, 2, 3, und so weiter, was den Rechenmöglichkeiten seiner taschenrechnerlosen Zeit entgegenkam. Diverse nationale Gruppierungen, die für ein Verhältniswahlrecht kämpften, übernahmen seine Methode.
Bildnachweis: Seite 31 in Carlier
(1901)
Eduard Hagenbach-Bischoff (1833-1910) war Physikprofessor in Basel. Als Kantonspolitiker erstritt er 1905 eine proportionale Vertretung im Grossen Rat: «Wenn bei irgend einer Liste auf eine bestimmte Zahl von Stimmen ein Grossrat kommt, so ist bei jeder andern Liste eine gleiche Zahl von Stimmen zu einem Grossrat berechtigt.» Diese Begründung führte für ihn zwangsläufig zur Methode D'Hondt; «gegen den Ausdruck: H a g e n b a c h ' s c h e s S y s t e m muß ich mich verwahren.»
Bildnachweis: Seite 181 in Huber (1960)
Die Methode beruht auf der Hare-Quote, dem Quotient von Gesamtstimmen und Gesamtmandaten, und besteht aus Haupt- und Restzuteilung. Zunächst werden alle Stimmenzahlen durch die Quote geteilt und die sich ergebenden Quotienten abgerundet zur Hauptzuteilung. Danach werden die Bruchteilsreste der Quotienten nach fallender Größe geordnet; diese Reihung bestimmt die Restzuteilung der verbliebenen Mandate.
Alexander Hamilton (1755-1804) bemerkte, dass die Sitzzuteilung nach Jeffersons Vorschlag zum Nachteil von Hamiltons Federalists abwich von dem, was aus einer Dreisatzrechnung als Idealanspruch geltend gemacht werden kann. Seine Alternativzuteilung gemäß der Quotenmethode mit Ausgleich nach größten Resten wurde zwar im Repräsentantenhaus gutgeheißen, aber von Präsident George Washington mit dem ersten jemals ausgesprochenen präsidialen Veto doch noch gekippt.
Bildnachweis:
odur.let.rug.nl/~usa/B/hamilton/hamilxx.htm
Thomas Hare (1806-1891), von Beruf Rechtsanwalt in London, war in diversen Leitungsfunktionen im viktorianischen Wohlfahrtssystem tätig. Sensibilisiert für die politische Belange der Massen entwarf er zur proportionalen Repräsentation das System der übertragbaren Einzelstimme, das noch heute in Irland praktiziert wird. Wesentlicher Bestandteil des Systems ist die nach Hare benannte Quote, die Hare selbst allerdings nach den Gepflogenheiten seiner Zeit abrundete, um die Rechnungen zu erleichtern: «Brüche werden nicht gerechnet.»
Bildnachweis: Nach Seite 164 in Hoag /
Hallett (1926)
George Pólya (1887-1985), einer der großen Mathematiker des zwanzigsten Jahrhunderts, begann seine Karriere 1914 an der ETH Zürich. Als Beitrag zur Einführung des schweizerischen Nationalratsproporzes 1919 zeigte er theoretisch wie auch empirisch, dass die Quotenmethode mit Ausgleich nach größten Resten unverzerrte Sitzzahlen liefert und somit weder größere Parteien systematisch bevorteilt noch kleinere systematisch benachteiligt.
Bildnachweis:
www-gap.dcs.st-and.ac.uk/~history/PictDisplay/Polya.html
Horst Friedrich Niemeyer (1931-2007) reagierte 1970 auf einen Zeitungsartikel, der von Defiziten der Divisormethode mit Abrundung berichtete, für die eine Alternative aber wohl nur «schwer zu finden sein dürfte.» In einem Brief wies er das Präsidium des Deutschen Bundestags auf die Quotenmethode mit Ausgleich nach größten Resten hin, die im Gegensatz zur Divisormethode mit Abrundung unverzerrte Sitzzahlen liefert und somit die damaligen Fraktionsstärken bei Ausschussbesetzungen treffender abbildete.
Bildnachweis: Seite 59 in Niemeyer
(1998)