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Neue Zürcher Zeitung, 224. Jg., Nr. 95, 25. April 2003,
Internationale Ausgabe Seite 9 (Schweiz)
Dem Problem der zu kleinen Wahlkreise im Kanton Zürich soll mit einem neuen Verfahren zur Sitzzuteilung begegnet werden. In einem ersten Schritt werden die 180 Kantonsratssitze auf die Parteien, in einem zweiten die Parteisitze auf die Kreise verteilt.
bto (Benjamin Tommer). Während weitherum immer wieder genüsslich über die scheinbaren Unzulänglichkeiten des amerikanischen Wahlsystems gewitzelt wird, ist man diesbezüglich als Zürcherin, als Zürcher zurückhaltender geworden. Beinahe hätte das Bundesgericht die Stadtzürcher Gemeindewahlen vom Frühling 2002 für nichtig erklärt, und so ganz sicher kann man auch jetzt nicht sein, ob die eben ermittelten kantonalen Wahlergebnisse wirklich in Rechtskraft erwachsen – denn die Grünen fechten die Wahlen mit einer Stimmrechtsbeschwerde vor Bundesgericht an. Gewisse Wahlkreise seien derart klein, so die Argumentation, dass kleine Parteien keine Chance auf einen Sitzgewinn hätten.
Das Problem ist erkannt, die Suche nach Lösungen läuft. Gemeinsam präsentierten Markus Notter, Direktor der Justiz und des Inneren, und Thomas Isler, Präsident der mit dem Problem konfrontierten kantonsrätlichen Kommission für Staat und Gemeinden, am Donnerstag in Zürich einen neuen Lösungsvorschlag. Ersonnen hat ihn der Augsburger Mathematiker Friedrich Pukelsheim, der dem Kanton Zürich für die Zukunft eine Sitzzuteilung nach der doppeltproportionalen Divisormethode mit Standardrundung empfiehlt – Notter, der es nach eigener Aussage eher mit der Juristerei als mit der Mathematik hält, sprach wiederholt vereinfachend vom "doppelten Pukelsheim".
Das Überraschende am Vorschlag: Die 18 bisherigen Wahlkreise sollen beibehalten werden und damit auch die unterschiedliche Zahl der zu vergebenden Mandate, die von 4 im Wahlkreis Andelfingen bis zu 16 in den Kreisen Horgen, Uster und Bülach reicht. Im Verlauf der Diskussion des Problems habe sich nämlich herausgestellt, so Notter, dass nicht die Frage der Wahlkreisgrösse allein entscheidend sei. Vielmehr gelte es zu gewährleisten, dass die Stimme jedes Stimmberechtigten gleich viel Wert habe. Das wird erreicht, indem in einer ersten Verteilrunde, der Oberzuteilung, die zu vergebenden 180 Mandate auf die zusammengezogenen Listen verteilt werden. Das geschieht nach der sogenannten Divisormethode mit Standardrundung, welche die Mathematiker Webster und Sainte-Laguë definiert haben. Diese Oberzuteilung gewährleistet, dass beispielsweise die Stimme eines EVP-Wählers aus dem Kreis Andelfingen, die dort kaum Chancen auf einen Sitzgewinn hat, nicht verloren geht. Sie fliesst in den kantonalen EVP-Topf und verhilft der Partei mit grosser Wahrscheinlichkeit in einem anderen Wahlkreis zu einem Sitz. In einem zweiten Schritt wird wiederum nach Webster und Sainte-Laguë ermittelt, wie viele Sitze pro Partei und Wahlkreis gewonnen wurden. Listenverbindungen würden, da wirkungslos, abgeschafft.
Die Vorteile der Methode sind gemäss Notter, dass einerseits jede Stimme im Kanton gleich viel Gewicht hat und andererseits die historisch gewachsenen Wahlkreise, in denen sich Wähler und Kandidierende im Idealfall kennen, beibehalten werden können. Der "doppelte Pukelsheim" hat allerdings auch Nachteile. So führt die Methode in ihrer reinen Form dazu, dass Parteien, die den 180. Teil der Stimmen im Kanton erreichen, mit Sicherheit einen Sitz gewinnen. Das könnte eine unerwünschte starke Zersplitterung der Kräfte im Kanton zur Folge haben, welche die Handlungsfähigkeit eines Parlamentes beeinträchtigen kann. Gemäss Kommissionspräsident Isler wird deshalb in der Kommission ein Quorum in den Wahlkreisen diskutiert, das eine Partei erreichen muss, wenn sie ins Parlament einziehen will. Als Grössenordnung nannte Isler eine Hürde von 3 bis 5 Prozent Wähleranteil.
Die neue Methode – Pukelsheim nennt sie Neue Zürcher Zuteilungsmethode (NZZ!) – kann dazu führen, dass in einem Wahlkreis eine Kleinpartei dank Stimmen aus anderen Wahlkreisen einen Sitz erreicht, obwohl sie weniger Stimmen gewonnen hat als andere Parteien im gleichen Kreis. Weil dem Wählerwillen über das ganze Kantonsgebiet gesehen dennoch bestmöglich entsprochen werde, seien solche Ausreisser zu akzeptieren, hiess es an der Informationsveranstaltung.
Zwischenzeitlich hatte die Kommission Staat und Gemeinden die im Kanton Bern einst gebräuchliche Methode von Wahlkreisverbänden favorisiert. Weil das Zuteilungsverfahren jenes Modells aber vollkommen undurchschaubar sei, habe man davon wieder Abstand genommen, sagte Isler. Die Kommission wolle mit der Beratung des Vorschlages rasch vorwärts machen, ein Quorum festlegen und ihn am 19. Mai im Rat diskutieren. Regierungsrat Notter äusserte sich überzeugt, angesichts der politischen und juristischen Vorgaben eine gute Lösung gefunden zu haben. Sie hat seines Erachtens gar das Zeug, andernorts kopiert zu werden.
Das Statistische Amt hat errechnet, wie die Wahl vom 6. April, ausgewertet nach neuer Methode, geendet hätte. Erwartungsgemäss müssten SVP und SP kürzer treten; sie hätten 6 beziehungsweise 4 Sitze weniger gewonnen. Während die Differenzen bei den mittleren Parteien gering wären, gewännen die kleinen tendenziell hinzu.